Leseprobe Zweiland

 

Lyle wachte als erster auf. Sein Kopf schmerzte ein wenig. Sie hatten in der Nacht die ganze Flasche Champagner ausgetrunken und waren irgendwann trotz des tobenden Unwetters erschöpft eingeschlafen. Seine Seite meldete ebenfalls ein Autsch an, als er sich streckte. Draußen schien die Sonne und er hörte die schrillen Schreie der Vögel. Vorsichtig, um Deacon nicht zu wecken, der noch unter der Decke lag und schlief, erhob sich Lyle und lief ins Freie. Der strahlend blaue Himmel wirkte, als hätte es den Sturm nie gegeben. Nicht eine Wolke war zu entdecken. Das Grün der Bäume und Sträucher wirkte wie frisch geputzt und das leise Rauschen des Wasserfalls in der Nähe äußerst heimelig. Er marschierte zu dem Naturbecken, zog sich dort aus und warf sich ins Wasser. Tief war es nicht, er konnte bequem stehen. Lyle suchte sich eine Felsterrasse aus, von der das Wasser eher gemütlich herabplätscherte, und nutzte es als Dusche. Dabei hoffte er inständig, dass er nach seinem Bad keine unliebsamen Besucher wie Blutegel an sich haftend fand. Plötzlich entdeckte er Deacon am schmalen Sandufer, der irgendetwas schwenkte. Er trug seine Badeshorts, die er sich aus dem Rucksack geholt haben musste.

„Was ist los?“, rief Lyle über das Rauschen des Wassers hinweg.

„Das BlackBerry ist trocken.“

Die Erklärung reichte, dass er zu Deacon hinüberschwamm und aus dem Wasser stieg. Gleich darauf breitete er die Arme aus.

„Habe ich etwas an mir?“

Deacon starrte ihn an. „Was soll denn da sein?“

„Blutegel oder ähnliches?“

Nervös beobachtete er Deacon, der ihn einer eingehenden Musterung unterzog.

„Nein“, krächzte Deacon und räusperte sich. „Nein, da ist nichts.“

Erleichtert atmete Lyle auf. „Ich finde diese Dinger ziemlich eklig. Nicht auszudenken, wenn in diesem tollen Pool solche Viecher wohnen würden. Okay, schalt das BlackBerry ein.“

Deacon drückte den entsprechenden Schalter und gespannt warteten sie. Nichts. Es tat sich nichts.

„Bitte! Bitte! BITTE!“ Deacon versuchte es erneut, drückte heftiger und länger. Das BlackBerry blieb tot.

„Da gibt man ein Haufen Geld für diese Scheiß-Technik aus und dann ist sie nicht wasserdicht.“ Deacon fluchte heftig. Das klang nicht nach gehobener Gesellschaftsschicht, sondern eher nach niederstem Gossenslang.

„Sieht so aus, als wäre das nicht unsere einzige Nacht im Paradies“, murmelte Lyle. Irgendwie hatte er sich ebenfalls an der Hoffnung festgeklammert, dass das Handy funktionieren würde. Er seufzte leise. Wahrscheinlich hätten sie nicht einmal einen Empfang gehabt. Darauf hatte Mrs. Patterson bei ihrem Robinson-Crusoe-Plan garantiert geachtet.

„Wir sollten in der Höhle bleiben“, schlug er Deacon vor. „Wenn wir dazu eine Art Vordach bauen, haben wir genügend Platz und Schutz vor der Sonne. Außerdem haben wir Frischwasser in der Nähe.“

Deacon nickte zustimmend. „Okay, einen besseren Unterschlupf finden wir bestimmt nicht. Trotzdem sollten wir am Strand irgendetwas hinterlassen, damit man auf uns aufmerksam wird, falls … und ich betone: falls … doch ein Schiff vorbeikommt.“

„Wir können auch ein paar der Signalraketen am Strand lassen. Nicht dass tatsächlich jemand vorbeischippert und wir erst zur Höhle hetzen müssen, um die Raketen zu holen“, griff Lyle seine Idee auf.

„Lyle?“

„Hm?“

„Sind wir am Arsch?“

„Noch lange nicht.“

„Wir werden das hier überleben.“

„Na klar.“

„Allein schon, um es Tante Hailey zu zeigen.“

„Mistkröte!“

Deacon grinste, als Lyle sein Lieblingswort verwendete. „Ja, genau. Mistkröte.“

Ihre Schultern berührten sich kurz und Lyle bemerkte, dass Deacon hastig eine Winzigkeit abrückte.

„Was macht deine Schmarre?“

Es war nett von Deacon, sich danach zu erkundigen. Lyle warf selbst einen Blick auf den Kratzer.

„Es bildet sich Schorf.“

„Lyle, was passiert, wir uns verletzen? Ich meine eine richtige schlimme Verletzung? So etwas wie ein Beinbruch, Blinddarm oder Haibiss?“

Das bereitete ihm auch Sorgen. „Dann rufen wir die Rettung. Da das BlackBerry nicht funktioniert, eben über Festnetz.“

„Sehr komisch.“

„Deacon, ich habe keine Ahnung, was wir in einem derartigen Fall machen. Am besten lassen wir es gar nicht erst soweit kommen.“

Deacon kratzte sich den Nacken. Er hatte dort ein paar Quaddeln, wo ihn Insekten gestochen hatten.

„Vielleicht können wir das Rettungsfloß flicken. Ein Reparatur-Kit war dabei“, murmelte er.

„Damit würde ich mich nicht ohne Kompass, Karte und mit lediglich einem Paddel dem Meer anvertrauen. Der Pazifik ist riesig. Wir könnten monatelang in den verschiedensten Strömungen festhängen, um anschließend den Pinguinen in der Antarktis die Flossen zu schütteln.“

„Ich stehe nicht auf die Antarktis.“

„Ich ebenfalls nicht.“

Deacon grinste. „Wie? Keine Reiselust?“

„Meine Reiselust wurde drastisch ausgebremst.“

„Wir könnten das Floß als Transportmittel nutzen oder zum Angeln. Solange wir damit nicht zu weit hinauspaddeln, könnte es uns gute Dienste erweisen.“

„Kann der Herr Milliardär überhaupt paddeln?“

„Ja, er kann.“

„Prima. Folgender Vorschlag: Ich sorge am Strand für einen Hilfeschrei und du reparierst das Gummiteil und sorgst für ein Mittagessen.“

„Und dafür fahre ich nicht zu weit raus.“

„Genau.“

„Weil sich Pinguinflossen schlecht beißen lassen.“

„Sie werden weicher, wenn man nur lange genug darauf herumkaut.“

Sie lachten und schreckten damit ein paar Vögel auf, die kreischend in die Baumwipfel flohen. Es war allerdings kein fröhliches Lachen, sondern eines, das ihnen helfen sollte, nicht hysterisch zu werden.