Ein Hauch von Seele

von

Sandra Busch und Sandra Gernt

 

Prolog

 

In einem entlegenen Winkel der Civitas Diaboli klirrten alte schwere Ketten, als der hagere Gefangene den Kopf hob. Wie jeden Tag kündigte das Kratzen der Klauen auf dem rauen Stein seinen Kerkermeister an. Schuppen rieben leise übereinander, als sich der Dämon zu ihm hinabbeugte, um ihn prüfend anzusehen. Mit den riesigen Schwingen, den langen widderartigen Hörnern und der Reptilienschnauze bot der Dämon eine furchteinflößende Erscheinung.

„Karl, geht es dir gut?“, fragte der Dämon mit einer ungewöhnlich mitfühlenden Stimme, die nicht zu seinem Erscheinungsbild passen wollte. Diese Frage stellte er seit ewigen Zeiten jeden Tag.

„Den Umständen entsprechend“, antwortete er mit müder, dumpfer Stimme seinem Kerkermeister. Ebenfalls wie jeden Tag.

„Glaubst du, dass du mich heute lieben kannst?“ Eine Klaue streichelte behutsam seine Wange.

„Ich habe dich gestern nicht geliebt, ich liebe dich heute nicht und auch morgen werde ich dich nicht lieben.“

Der Dämon stieß ein enttäuschtes Knurren aus.

„Drei Seelen habe ich heute verschlungen. Es muss doch eine dabei sein, der du dein Herz schenken kannst.“

„Es sind gestohlene Seelen. Ich leide mit deinen Opfern, Taznak.“ So wie er unter seinem Aufenthalt in der Hölle litt.

„Wie soll das gehen, Karl? Du kannst mich ohne Seele nicht lieben und mit Seelen ebenfalls nicht. Ich werde dich morgen noch einmal fragen.“ Ein letztes zärtliches Streicheln, wobei der Dämon seine Klauen sehr vorsichtig bewegte. Dann ließ Taznak ihn allein.

 

~*~

 

Hastig rollte Zedrik seinen Schlafsack zusammen und stopfte ihn in die unterste Schublade seines Schreibtischs, um anschließend sein zerknittertes Hemd zu richten. Beinahe hätte er verschlafen. Gleich würde Jeremy zum Dienst erscheinen und er sollte nicht merken, dass er wieder eine Beziehung in den Sand gesetzt hatte. Die Fünfte innerhalb dieses Jahres – und sie hatten erst Januar. Schuld war wie immer sein dämonisches Blut, der Erbteil seiner Mutter, einer Succubus. Er war leidenschaftlich, ja, aber das reichte seinen Partnern nicht. Die wollten alle die große Liebe und dazu war er nicht fähig. Dazu fehlte ihm eine menschliche Seele, die ihm bei seiner Geburt verwehrt worden war. Wenigstens äußerlich war er von menschlicher Gestalt. Seine dämonische Herkunft konnte man lediglich an seinen sehr hellen grünen Augen erkennen, die eine Kälte ausstrahlten, die die meisten Menschen von vornherein abschreckte. Aus diesem Grund trug er beinahe ständig eine Sonnenbrille.

Auch sein Partner konnte sich nicht vor eindeutigen Angeboten retten. Jedermann wurde von Jeremys vornehmem Charme angezogen, er brauchte sich nicht einmal sonderlich bemühen. Und im Gegensatz zu ihm würde Mr. Perfekt seine Beziehung halten können.

Zedrik suchte die kleine Toilette ihres Büros auf, um sich schnell die Zähne zu putzen. Jeremy war immer pünktlich, eine weitere Tugend auf der langen Liste seines Partners, gleich hinter dem Eintrag Mir fällt alles leicht.

„Du bist eifersüchtig auf das perfekte Leben deines perfekten Partners“, sagte er zu seinem Spiegelbild, das ihm ein stoppelbärtiges Gesicht und wuscheliges braunes Haar zeigte. Abrupt wandte er sich von dem Spiegel ab, setzte seine Sonnenbrille auf und kehrte ins Büro zurück. Sein Partner hatte sich zwar im Laufe der Zeit an seine Augen gewöhnt, aber selbst er konnte ab und an ein Frösteln nicht unterdrücken. Da Zedrik dank seiner Dämonenaugen kein Problem hatte im Dunkeln zu sehen, machten ihm die getönten Gläser der Brille nichts aus. Ein Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk zeigte ihm, dass er noch fünf Minuten hatte. Dann wäre es 08.00 Uhr und Mr. Perfekt würde erscheinen. Er sollte sich daher beeilen, die restlichen Spuren seiner Übernachtung verschwinden zu lassen. Eine fettige Pizzapackung verschwand im Mülleimer, gefolgt von dem Inhalt eines übervollen Aschenbechers und der beinahe leeren Flasche Schnaps. Anschließend riss er das Fenster auf, um frische Luft hereinzulassen. Jeremy konnte abgestandenen Rauch nicht ausstehen. Jetzt musste er sich lediglich noch einfallen lassen, wieso er bereits um diese Zeit im Büro war. Sein Blick fiel auf den großen Stahlschrank, der sein liebstes Spielzeug beinhaltete: ihre Waffensammlung. Geweihte Silberkugeln gegen Werwölfe lagerten neben angespitzten Pflöcken für Vampire. Etliche gesegnete Klingen aller Größen und Formen hingen sorgfältig nebeneinander und dann waren da noch die Schusswaffen. Zedrik streckte die Hand aus und strich beinahe zärtlich über eine kleine Armbrust, die ihm schon oftmals gute Dienste geleistet hatte. Denn sie verschoss Bolzen, die mit einem Sud aus Eberesche gefüllt waren. Ein besseres Mittel gegen Dämonen gab es nicht. Gerade als er zu überlegen begann, was sie ersetzen oder auffüllen mussten, hörte er Schritte vor der Tür. Rasch versuchte er ein letztes Mal sein Hemd zu glätten, da tauchte sein Partner auch schon mit gezogener Waffe und wachsamer Miene auf.